So geht empathisches Zuhören

Sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext ist empathisches Zuhören ein sehr wirksames Mittel, um Verbindung zu schaffen und Konflikte zu lösen. Es kann außerdem für Entspannung und Klarheit sorgen, die Inspiration für kreative Problemlösungen schaffen und alte emotionale Wunden heilen!

Bildquelle: JackF@adobe.com

Empathie wie ich (Kendra) sie verstehe, habe ich durch meine Begegnung mit Gewaltfreier Kommunikation und ihrem Begründer, Marshall Rosenberg, kennengelernt.
Bei einem Einführungsseminar in die Gewaltfreie Kommunikation in München nahm ich vor einem rappelvollen Saal mit mehreren hundert Menschen meinen ganzen Mut zusammen und bat Marshall persönlich, ein Rollenspiel mit mir durchzuführen, um mir zu helfen, einen Konflikt in meinem Leben zu lösen.

Er willigte ein, und so fand ich mich auf einem Stuhl auf der Bühne, ihm gegenüber. Ich sollte die Person spielen, mit der ich ein Problem hatte, und er würde eine empathische Version von mir selbst spielen. Ich legte also los und warf mir/ Marshall die zutiefst verletzenden Sätze an den Kopf, die mich am meisten getroffen hatten. Er zuckte gar nicht mit der Wimper, sondern sagte: “Hm, das hört sich so an, als seist du traurig, weil du mehr Kontakt mit mir hättest!”
Ich wusste nicht weiter, wie mir geschah, sondern brach einfach in Tränen aus. Er hatte einen Volltreffer gelandet. Meine ganze Angriffslust war mit einem Mal wie weggeblasen. Woher zum Teufel wusste er das? Darauf wäre ja selbst ich nie gekommen!

In diesem Moment hatte ich selbst die Kraft der Empathie erlebt, und ich war noch Tage lang damit beschäftigt, mein Erlebnis zu verarbeiten. Im positiven Sinne 🙂

Von da an wollte ich können, was Marshall konnte, mit derselben Leichtigkeit und Treffsicherheit. Heute würde ich sagen, er hatte die Fähigkeit, scharf wie ein Laser die ganzen Egoschichten eines Menschen zu durchdringen und gleich bis zu seinem Kern vorzudringen. Und in diesem Kern das Menschliche zu sehen, die Kraft, “die zum Leben beitragen will”, wie er zu sagen pflegte. Das Gute, das uns alle ausmacht – auch wenn es manchmal sehr versteckt ist!

Empathie besteht im Wesentlichen aus dem zweiten und dritten der berühmten “Vier Schritte” der Gewaltfreien Kommunikation. Schritt zwei ist die Beschreibung des Gefühls, das man gerade hat, und Schritt drei die Offenlegung des aktuellen Bedürfnisses.

Wenn ich jemandem empathisch zuhöre, dann frage ich hauptsächlich nach seinen Gefühlen und Bedürfnissen. Ich versuche, aus dem, was der andere sagt, herauszuhören, was er gerade fühlen und brauchen könnte, und überprüfe das dann.

Ein Beispiel:
Nehmen wir an, eine Freundin beklagt sich über ihren Ehemann und sagt: “Oh Mann, ich war den ganzen Abend mit ihm aus, und er hat nur auf sein Handy gestarrt! Er ist total unsozial!”
Empathisches Zuhören wäre in diesem Fall, Fragen zu stellen wie: “Bist du darüber traurig (Gefühl)? Du wünschst dir mehr Verbindung zwischen euch beiden, stimmt’s?”

Lass es uns in eine Kurzanleitung bringen:

Kurzanleitung für Empathie
1. Fühle dich in die andere Person hinein
2. Frage nach ihrem Gefühl
3. Frage nach ihrem Bedürfnis

Du musst das Gefühl und das Bedürfnis nicht richtig erfassen. Rate einfach. Was zählt, ist die aufrichtige Absicht. Entweder bekommst du ein erleichtertes “Ja!” oder ein “Nein!”, und beides ist gut. Bei einem “Nein” sagt dir die Person entweder gleich, was richtig ist (z.B.: “Nein, ich bin nicht traurig, ich bin enttäuscht!”), oder du rätst einfach noch einmal.

Wichtig ist auch, dass du nicht fragst: “Was fühlst du?” oder “Was brauchst du?”, sondern ein konkretes Gefühl anbietest (“traurig”, “wütend”, “genervt”, “frustriert”, “enttäuscht” etc.) und ein konkretes Bedürfnis (“Verbindung”, “Gemeinschaft”, “Dazugehören”, “Wertschätzung”, “Ruhe” etc.).
So kommt dein Gegenüber leichter mit sich in Kontakt und läuft nicht Gefahr, in Gedanken abzudriften, weil er anfängt, darüber nachzudenken, was er gerade fühlen und brauchen könnte!

Im Grunde ist Empathie nicht weiter schwierig. Was oft schwer fällt, ist, sich seine bisherigen Gesprächsmuster abzugewöhnen! Die Kunst ist, nur beim Nachfragen zu bleiben, und sich folgende Dinge zu verkneifen:
– Ratschläge: “Mach doch xyz!”
– Verständnisbekundungen: “Ich verstehe dich.”
– Von sich erzählen: “Oh ja, das kenne ich, bei mir war das so und so….!” (Nein! Machen wir gerne, aber: Der andere braucht jetzt deine ganze Präsenz für sich. Bitte bleib bei ihm!)
– Analysen: “Das ist doch dasselbe Muster wie mit deinem Vater!”
– Mitleid: “Oh, das ist wirklich schlimm! Du Arme!”
– Besserwisserei: “Das hätte ich dir gleich sagen können!”

Ich will damit nicht sagen, dass all diese Dinge grundsätzlich “schlecht” sind. Wenn man aber gerade eine Verbindung zum anderen aufbauen und ihm in einem emotional aufgebrachten Moment helfen will, sind sie normalerweise einfach nicht zielführend, weil sie die Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken. Probiere den Unterschied gerne einmal aus!

Und nun das Wichtigste

Das Allerallerwichtigste bei der Empathie ist aber nicht die “richtige” Technik, sondern die entsprechende innere Haltung, mit der man dem anderen begegnet. Diese Haltung spielt eine viel größere Rolle dabei, ob man ihn erreicht, als das fehlerfreie Fragen nach Gefühlen und Bedürfnissen – nämlich die entscheidende!

Dazu gehören 5 Dinge:
1. Urteilsfreiheit: Nimm den anderen so an, wie er ist. Akzeptiere alle seine Gefühle und signalisiere ihm, in Ordnung zu sein, egal, in welchem emotionalen Zustand er ist und egal, wie seine Gedanken aussehen.
(Mir ist klar, dass du nicht immer völlig urteilsfrei sein wirst. Aber das macht nichts. Sei einfach offen dafür, eventuell mit deinem Urteil daneben zu liegen. Steig nicht in das Urteil ein, und lass dir von ihm nicht dein Verhalten diktieren!)
2. Wohlwollen: Glaube daran, dass der andere im Kern gut ist. Wie Marshall immer gesagt hat: Jeder Mensch will zu jeder Zeit immer dem Leben dienen. Manche wählen dazu einfach nur Strategien, die für andere schmerzhaft sind, weil sie es nicht besser wissen. Sei offen dafür, dass sich das Gute im anderen zeigen wird, wenn er die Gelegenheit bekommt, durch seinen Schmerz begleitet zu werden und wenn jemand anderes ihn als gut sieht. Was du ja gerade tust! Halte aktiv nach der guten Absicht im anderen Ausschau. Sie ist da!
3. Verbindung über Belehrung: Gib der Verbindung zum anderen höchste Priorität. Widerstehe jeder Versuchung, ihn von etwas überzeugen zu wollen, Ratschläge in euer Gespräch hineinzuschmuggeln oder das Gespräch zu einem bestimmten Ergebnis führen zu wollen. Sei einfach für ihn da!
4. Vertrauen: Vertraue darauf, dass der andere weiss, was er braucht und was die Lösung für seine Situation ist. Du musst es ihm nicht sagen. Tatsächlich verwirren unsere Lösungsvorschläge andere oft mehr, als dass sie helfen – es sei denn, der andere fragt danach.
Hilf ihm also, seine eigene Lösung zu finden, und sag’ deine Meinung nur, wenn du ausdrücklich danach gefragt wirst.
5. Höre auf deine innere Stimme: Begegnungen mit anderen sind ein dynamischer Prozess, und nicht immer passt eine Antwort oder eine Reaktion aus dem Baukasten! Bitte deine Intuition um Hilfe, so einfühlsam wie möglich zu sein und dem anderen so gut wie möglich helfen zu können. Und dann vertrau dir selbst!

Danke, dass du bisher gelesen hast! Ich freue mich sehr über dein Interesse an empathischem Zuhören, denn ich möchte gerne dazu beitragen, dass menschliches Miteinander schöner wird!

War das alles soweit verständlich? Hast du noch Fragen? Du kannst mir gerne schreiben – hinterlasse unten einen Kommentar oder benutze unser Kontaktformular!

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Ich wünsche dir viele verbindende, bereichernde Momente beim empathischen Zuhören!

Kendra Gettel

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2 thoughts on “So geht empathisches Zuhören

  1. Liebe Kendra,
    ich habe gerade mal wieder mit grossen Konflikten in meinem Chor zu tun.
    Da fand ich es jetzt sehr hilfreich, diesen Artikel über empathisches Zuhören zu lesen! Herzlichen Dank dafür!
    Auch sonst vielen Dank für eure Liebe und Mühe!
    Mit lieben Grüßen von Ulrike M.-G.

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