Vorwort

Auszug aus: Die Fallen der Gewaltfreien Kommunikation

von Kendra Gettel

Vorwort

Haben Sie auch den Eindruck, Sie hätten schon alles versucht?

Voller Motivation und Begeisterung Bücher gelesen, Seminare besucht und sich wirklich alle Mühe gegeben, „gewaltfrei“ zu kommunizieren? Im ehrlichen Bemühen, die Beziehungen in Ihrem Leben zu verbessern – zu Ihrem Partner/ Ihrer Partnerin, innerhalb Ihrer Familie, am Arbeitsplatz oder im Freundeskreis. Und dennoch haben Sie immer wieder das Gefühl, gegen eine unsichtbare Wand zu laufen? Will, was bei Marshall Rosenberg so spielend leicht ausgesehen hat, in den Rollenspielen im Seminar so überzeugend wirkte oder sich in den Büchern so einleuchtend anhörte, in Ihrem Leben einfach nicht klappen? Zumindest nicht in den Beziehungen, in denen es Ihnen wirklich darauf ankommt?

Dann sind Sie sind wahrscheinlich entnervt, erschöpft und zweifeln an sich. Und womöglich ist da auch Wut auf die anderen, die sich einfach nicht so verhalten wie die Idealpartner aus den Rollenspielen in Seminaren und Büchern, sondern Sie unbeeindruckt von Ihren Bemühungen weiter beharrlich auf die Palme treiben. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sie kurz vor der Resignation stehen. Doch sicher haben Sie noch nicht ganz aufgegeben. Im Inneren hungern Sie nämlich zu sehr nach einer Veränderung, einer anderen Beziehungs- und Lebensqualität, die von gegenseitigem Verständnis, von Rücksicht und füreinander da sein geprägt ist, um sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Sie wollen ein Leben, das zu leben Freude macht und erfüllend ist.

Ich möchte Ihnen gerne bestätigen, dass das, was Sie innerlich antreibt, der richtige Wegweiser ist. Es gibt das, wonach Sie suchen. Es wartet auf Sie, und Sie werden es finden.

Es ist bis dorthin nur normalerweise ein viel längerer und anstrengenderer Weg, als wir erst einmal vermuten. Wir denken, wenn wir ein paar Kurse besucht und Bücher gelesen haben, „könnten“ wir es – und auf jeden Fall spätestens nach dem Intensivjahrestraining, oder etwa nicht? Dann aber bestimmt nach dem nächsten 10-Tage-Retreat!

Was wir anfangs nicht ahnen, ist, dass uns ein langer Weg der Transformation bevorsteht, der alle unsere Ausdauer und Hingabe erfordert.

Verzweifeln Sie daher nicht, falls Ihnen alles so schwierig vorkommt. Wenn es Ihnen ernst ist, werden Sie dort ankommen, wo Sie hin möchten, dazu ist nur eine konsequente Veränderung Ihrer selbst nötig. Das soll Sie keineswegs abschrecken. Sie sollten sich nur darüber im Klaren sein, dass Sie mit Ihrem Vorhaben die größte Herausforderung gewählt haben, die es in im Leben gibt. Es ist normal, wenn es erst einmal den Eindruck macht, als sollten Sie eine ganz exotische Fremdsprache lernen und es sei viel zu schwierig, um es überhaupt zu versuchen. Doch es geht! Es geht allerdings nicht, wenn man nur hier und da in bestimmten Situationen einmal „gewaltfrei” sein will und ansonsten weitermacht wie bisher. Der Trick besteht darin, es immer wieder zu üben und nach und nach zu einer Gewohnheit werden zu lassen, die den Grundton für jeden Moment des Tages angibt.

Das ist alles andere als leicht, denn in unserer Gesellschaft herrschen unzählige Denk- und Verhaltensmuster, die uns von uns selbst und voneinander entfremden und Konflikte schüren. Hier fängt Gewalt an. Haben Sie schon einmal ein kleines Kind dabei erlebt, wie eifrig es die Erwachsenen um sich herum nachahmt und geradezu herzerweichend bemüht ist, so zu sein wie sie? Genauso haben wir eifrig und ungefiltert vieles übernommen, was uns leider häufig im Weg steht, wenn es um unsere Beziehungen und unser Lebensglück geht. Wir sind durch und durch von solchen alten Mustern geprägt, und es kann gar nicht anders sein, denn uns fehlt oft ganz einfach ein Beispiel dafür, wie es auch anders gehen könnte. Das haben wir nie erlebt.

Wenn Sie zum Beispiel in einer Gegend mit Gruppenkämpfen großgeworden sind, dann haben Sie sicher schon als Kind eingeimpft bekommen, wie gefährlich eine bestimmte andere Gruppe ist und dass Sie sich vor ihr schützen müssen. Vermutlich haben Sie nie die Gelegenheit gehabt, einen von „denen“ ganz unbefangen kennenzulernen. Sie kennen nichts anderes und werden sich mit größter Wahrscheinlichkeit genauso vor der anderen Gruppe fürchten, wie es schon die Generationen vor Ihnen getan haben. Wenn Sie beschließen, dass Sie diese Art zu leben leid sind, und zwischen beiden Gruppen vermitteln wollen, werden Sie erst einmal mit ihren eigenen Ängsten konfrontiert. Sie müssen zunächst Ihr eigenes, tiefsitzendes Misstrauen überwinden. Und dazu gehört, überhaupt zu merken, dass Sie misstrauisch sind und Angst haben. Daraus resultierend verhalten Sie sich den Angehörigen dieser Gruppe womöglich viel ablehnender und kompromissloser, als es normalerweise der Fall wäre, und dies hält den Kreislauf der gegenseitigen Ablehnung weiter am Leben.

Oft merken wir allerdings gar nicht, dass uns alte Prägungen und Ängste steuern und wir auf andere nicht gerade herzöffnend wirken. Wir halten unser Verhalten und unseren Antrieb dazu für natürlich, doch das ist nur deshalb so, weil das, was wir in frühen Jahren aufgenommen haben, in der Regel unhinterfragt in unserem Unterbewusstsein sitzt und von da aus das Kommando führt. Erinnern Sie sich daran, wie es war, Auto fahren zu lernen: Am Anfang muss man sich auf jede Handlung einzeln konzentrieren und es ist ziemlich anstrengend, an alles zu denken und es richtig zu machen. Nach einiger Zeit läuft es dann aber wie von selbst: Motor an, Gang rein, Blick in den Spiegel, Blinker setzen, losfahren. Sie können sich dabei sogar noch mit Ihrem Beifahrer unterhalten. Schwierig wird es nur, wenn Sie ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe fahren wollen. Dann müssen Sie wieder bewusst umlernen und sich davon abhalten, ständig auf die nicht vorhandene Kupplung treten zu wollen. Wieder ist es anstrengend und es dauert eine Weile, bis es von alleine klappt.

Wenn Gewaltfreie Kommunikation nicht die gewünschten Verbesserungen bringt, sabotiert in der Regel eine alte Programmierung im Unterbewusstsein das bewusste Vorhaben. In diesem Buch zeige ich Ihnen eine Reihe von Mustern, nach denen dies oft abläuft, und wie Sie sich von Ihnen befreien können. Ich nenne diese Muster „Fallen“ oder „Wölfe im Giraffenfell“. Sie sehen formal nach Gewaltfreier Kommunikation aus, doch sie sind von den alten Ängsten und Prägungen motiviert und haben dementsprechend eben nicht die kraftvolle und transformierend Wirkung, die Sie sich vermutlich wünschen. Daraus entsteht dann der Eindruck, man halte sich an die GFK, doch es führe zu nichts.

Die Phänomene und Lösungsvorschläge, die ich beschreibe, stehen im Kontext der Anwendung von Gewaltfreier Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg.[i] Dies bedeutet nicht, dass die beschriebenen Mechanismen nur bei Menschen ablaufen, die Gewaltfreie Kommunikation benutzen. Sie sind universell, und jeder von uns, der seine Beziehungen transformieren möchte, wird ganz unabhängig vom gewählten Weg im Kern mit denselben Herausforderungen konfrontiert. Dieses Buch mag deshalb durchaus auch für Leser interessant sein, die sich bisher wenig oder gar nicht mit Gewaltfreier Kommunikation beschäftigt haben. Sollten Sie zu diesem Kreis gehören, habe ich für Sie eine kurze Einführung in die GFK vorangestellt, damit Sie die Bezüge zur Gewaltfreien Kommunikation nachvollziehen können und wissen, was zum Beispiel mit „Giraffen“ und „Wölfen“ gemeint ist. Wer die GFK bereits gut kennt, kann diese getrost überspringen.

 

Im Literaturverzeichnis finden Sie eine kleine Auswahl von Büchern über die Gewaltfreie Kommunikation, wenn Sie sich weiter damit beschäftigen möchten. Mittlerweile gibt es zu dem Thema auch sehr viele andere hilfreiche Publikationen, die Sie in Buchhandel oder Internet leicht finden können.

Dieses Buch gliedert sich hauptsächlich in die Beschreibung der so genannten „Fallen der Gewaltfreien Kommunikation“, in die man auf dem Weg hineingeraten kann. Sie bestehen aus wölfischen Verhaltensweisen, die sich in unsere Giraffenabsichten einschleichen und sie unterlaufen. Sie werden anhand von Beispieldialogen sehen, woran man die Wölfe erkennt, und erfahren, wie man vom jeweiligen Wolf zur Kraft des Herzens zurückfindet, welche Gewaltfreier Kommunikation ihre Wirksamkeit verleiht.

Meine Beschreibung der getarnten Wölfe erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich beschreibe diejenigen, die ich bisher selbst identifiziert habe – vor allem dadurch, dass ich oft unbeabsichtigt in ihre Rollen hineingeschlüpft bin und es auch heute noch tue!

Ich betrachte mich selbst noch als Lernende und teile hier meinen momentanen Entwicklungsstand mit Ihnen. Manche Dinge werden Sie nachvollziehen können und andere nicht. Manchem werden Sie zustimmen und anderes ablehnen, einiges hilfreich finden und einiges nicht. Das ist in Ordnung. Beginnen Sie Ihre eigene Forschungsarbeit, denn nur Sie können herausfinden, was für Sie funktioniert.

Möge unsere Suche uns alle in die Tiefe führen, in der wir Zugang zu der Kraft in uns finden, aus der heraus wir automatisch gewaltfrei leben – unser Wunder wirkendes Giraffenherz. Damit werden wir keineswegs zu Schafen, mit denen man alles machen kann – was einer gewaltfreien Haltung oft argwöhnisch unterstellt wird – sondern entdecken in uns die Macht unseres wahren Ichs, um aus ihr heraus die Welt zu gestalten. Es gibt keine größere Macht als diese.

In Liebe. Und Frieden. Weil das Leben so einfach schöner ist!

© 2013 Kendra Gettel
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[i]            Marshall Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Junfermann Verlag, 2004.

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