Erwachen – vielsagende Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung

In den letzten Wochen verfolge ich mit großem Interesse die Arbeit eines amerikanischen Psychologen, Dr. Jeffery Martins.
Sein Spezialgebiet: Erwachen!

Seit über 10 Jahren erforscht Martins, ob und wie man Erwachen definieren kann, wie die einzelnen Menschen es erleben, was sich in ihrer Wahrnehmung verändert hat und wie man Erwachen gezielt herbeiführen kann.

Ich bin völlig baff, dass sich jemand schon so lange mit diesem Thema beschäftigt und weltweit auf Konferenzen darüber spricht, doch gleichzeitig so wenige Leute auf dem spirituellen Weg ihn kennen.
Was Martins herausgefunden hat, ist nämlich Gold wert. Mindestens.

Er hatte damit begonnen, weltweit 50 Erwachte über ihre Erfahrung zu befragen. Dabei stellte er fest, dass es fünf wesentliche Merkmale gibt, die sie alle – ungeachtet ihres kulturellen oder weltanschaulichen Hintergrundes – miteinander teilen.

Das erste davon ist eine völlig veränderte Wahrnehmung des Selbst. Alle Betroffenen berichteten übereinstimmend, sich weniger mit einem individuellen Selbst zu identifizieren. Dabei gibt es verschiedene Grade: manche nehmen noch ein individuelles Selbst wahr, jedoch in verringertem Maße, andere überhaupt keines mehr.

Das zweite Merkmal ist eine mehr oder weniger vollständige Abnahme des mentalen inneren Geplappers, vor allem selbstbezogener Gedanken. Das Denken funktioniert noch prima, um im Alltag zu funktionieren, doch die ständigen automatischen, meistens urteilenden, kontrollieren wollenden oder Angst erzeugenden Gedanken sind entweder kaum noch vorhanden oder ganz verschwunden. So sie noch vorhanden sind, erleben die Befragten sich allerdings nur noch marginal von diesen Gedanken beeinflusst.

Das dritte Merkmal ist eine Veränderung der Gefühle. Negative Gefühle lassen stark nach oder verschwinden sogar ganz, stattdessen werden Freude und Frieden empfunden. Diejenigen, die noch negative Gefühle erleben, erleben sich von ihnen kaum noch beeinträchtigt, und die Gefühle gehen rasch wieder vorüber.

Das vierte Merkmal betrifft äußeres Erleben: die Wahrnehmung der Gegenwart sowie Reaktivität auf externe Ereignisse.
Die Befragten schilderten, dass sie viel mehr im gegenwärtigen Augenblick leben und Gedanken an die Vergangenheit oder Zukunft weniger bis hin zu fast überhaupt nicht mehr vorkommen. Die Reaktivität auf externe Ereignisse war für alle stark reduziert, einige waren völlig frei davon.

Das fünfte Merkmal zeigte sich im Bereich des Gedächtnisses. Generell verloren persönliche Erinnerungen für alle Erwachten erheblich an Bedeutung. Erinnerungen, die vorher mit starken Emotionen aufgeladen waren, waren darüber hinaus plötzlich neutral.
Manche Befragten erlebten Probleme mit ihrer Fähigkeit, sich Dinge zu merken, und sagten von sich, ihr Gedächtnis sei schlechter geworden. Doch wenn sie gezielt nach Ereignissen gefragt wurden, konnten sie sich erstaunlich gut erinnern. Das Gedächtnis war vorhanden, doch musste bewusst angesteuert werden. Während wiederkehrende Termine und Alltagsroutinen von dem Gedächtnisverlust nicht betroffen waren, mussten sich manche Erwachte für einmalige Termine oder Einkäufe mit Zetteln und anderen Hilfsmitteln behelfen.

Ein weiteres, hochinteressantes Ergebnis von Dr. Martins Forschung ist das Aufspüren verschiedener erwachter Zustände. Er bezeichnet das Erwachtsein als Kontinuum, innerhalb dessen es verschiedene Zustände gibt. Diese Zustände sind nicht unbedingt linear angeordnet, auch wenn es durchaus eine allgemeine Tendenz gibt, nach der sich Menschen von einem Zustand in den nächsten bewegen – wenn sie es denn tun. Manche bleiben nämlich auch an in dem Zustand, in den sie ursprünglich erwacht sind.

Laut Martins gibt es 4 Zustände.
Die meisten Menschen erwachen seinen Ergebnissen zufolge in Zustand 1. Dieser zeichnet sich durch eine verringerte Wahrnehmung eines individuellen Selbst aus, so wie eine erhebliche Reduktion des mentalen Geplappers und negativer Gefühle. Negative Gefühle und emotional behaftete Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft treten weiter auf, haben aber einen drastisch reduzierten Einfluss. Negative Gefühle und Trigger gehen schnell vorüber.
Es gibt ein allgemeines, stabiles Grundgefühl von Freude und Frieden. Hinzu kommt ein Empfinden von Sein und davon, mit etwas weit größerem als dem eigenen individuellen Selbst verbunden zu sein.

Zustand 2 ist im Wesentlichen eine Vertiefung von Zustand 1. Menschen an diesem Punkt berichten von zunehmend nur noch positiven Gefühlen und noch mehr Wohlbefinden als an Punkt 1. Wenn sie Entscheidungen treffen, haben sie zudem ein starkes Gefühl von einem richtigen Weg.

In Zustand 3 erleben die Betreffenden nur noch ein Gefühl: eine Mischung aus Liebe, Mitgefühl und Freude. Reste von negativen Emotionen können am Horizont erscheinen, schaffen es aber nicht mehr, sich zu einer vollständigen Emotion auszubilden. Selbstbezogene Gedanken sind fast völlig verschwunden.
Frieden und das Gefühl von Sein vertiefen sich weiter, ebenso das Gefühl von Verbundenheit. Je nach spirituellem Hintergrund wird dieser Zustand zum Beispiel als “Einheit mit Gott” oder “alles durchdringendes Bewusstsein” beschrieben.
Menschen an Punkt 3 empfinden die Welt als in Ordnung, wie sie ist, und haben interessanterweise das Empfinden von der Existenz “richtiger” Entscheidungen verloren, über das Menschen an Punkt 2 berichten.

Zustand 4. Jetzt wird es schräg. Eine totale Veränderung im Vergleich zu den anderen Zuständen. Die Betroffenen berichten, sich selbst überhaupt nicht mehr als individuelles Selbst wahrzunehmen, und auch keine Gefühle mehr zu erleben. Sie haben den Eindruck, keine Entscheidungen mehr treffen zu können oder zu müssen – das Leben geschieht einfach. Manche nehmen die Welt so wahr, als würde sie sich durch sie hindurchbewegen, während sie selbst an einem Ort verbleiben – auch wenn sie sich bewegen. Interessanterweise nehmen Menschen an Punkt 4 auch kein Gefühl der Verbundenheit mit etwas Höherem mehr wahr.
Obwohl dieser Zustand zunächst etwas befremdlich klingen mag, erleben die Betroffenen das höchste Wohlbefinden und sind überwiegend der Ansicht sind, ihnen sei nie etwas Besseres passiert.

Wenn jemand erwacht, kann man nicht wissen, an welchen Zustand es ihn verschlägt. Auch wenn, wie gesagt, der tendenzielle Ablauf ist, bei Zustand 1 herauszukommen und dann, mit Vertiefung der Erfahrung, zu Zustand 2, 3 und 4 weiter voranzuschreiten, gibt es auch Menschen, die gleich bei 2,3 oder 4 erwachen oder sich von 2, 3 oder 4 zu einem “früheren” Zustand weiterbewegen.

Martins erwähnt noch eine Sache, die ich sehr hilfreich finde, um Berichte von Erwachten besser einzuordnen: Er sagt, alle Erwachten hielten ihren momentanen Zustand für die letztgültige Realität und hätten, solange sie es nicht selbst erlebt haben, Schwierigkeiten, andere Zustände als ebenso gültige Formen des Erwachens anzuerkennen.

Dies klärt für mich persönlich das Rätsel, warum verschiedene Erwachte so verschiedene und sich teilweise widersprechende Dinge berichten. Logisch – für jemanden in Zustand 4 stellt sich die Realität nun einmal vollkommen anders dar als für jemanden in Zustand 1, 2 oder 3.

Ein weiteres interessantes Detail von Martins’ Forschung könnte man so beschreiben, dass nicht jeder, der erwacht ist, völlig frei vom Ego und ganz von Liebe und Mitgefühl durchdrungen ist. Davon war ich bisher immer ausgegangen, zumindest in der Theorie. Gewisse Begegnungen mit Erwachten hatten mich dann stark verwirrt, weil ich ihr Verhalten nicht mit dieser Theorie in Übereinstimmung bringen konnte. Aha. Auch das hängt also von dem jeweiligen Zustand ab!

Martins’ Betreben ist es, einer kritischen Zahl von Menschen auf dem Planeten zum Erwachen zu verhelfen, um das kollektive Bewusstsein anzuheben. Dazu untersucht er mit seinem Team, wie man Menschen am besten ins Erwachen hinein führen kann.

Auch dazu hat er faszinierende Erkenntnisse zu bieten.

Es geht bei seinem Ansatz, dem Finders Course, darum, den Geist auf das SEIN zu fokussieren. Dazu hat er ein Programm aus Übungen und Meditationen entwickelt, um ganz materiell gesprochen, das Gehirn umzutrainieren und das Ego auszutricksen. Wer an seinem Programm teilnimmt, muss 17 Wochen lang täglich zwischen 1 1/2 und 3 Stunden für Anleitungsvideos, Übungen und Meditationen aufwenden und wird dabei mit wöchentlichen Fragebögen “überwacht” und begleitet.

Neu im Angebot ist, dass man den “Finders Course” auch mit persönlicher Betreuung durch einen ausgebildeten Begleiter machen kann.

Für den unvorbereiteten Geist kann eine forcierte Reise ins Erwachen nämlich sehr unangenehm werden, da starker innerer Widerstand ausgelöst wird, der sich in Form von starken negativen Emotionen zeigt.
Dies soll vermieden werden.

Martins weist daher immer wieder auf die Notwendigkeit hin, das psychische Wohlbefinden des Einzelnen zu steigern und zu stabilisieren, bevor man ihn ins Erwachen führt.
Und da treffen sich dann für mich wieder Wissenschaft und Spiritualität. Mit den Worten von “Ein Kurs in Wundern” könnte man sagen: Erst der “glückliche Traum”, dann das Erwachen. Einen glücklichen Traum anzustreben, ist daher keine fehlgeleitete Egoagenda, sondern ein notwendiger Schritt, um das Erwachen zu erleichtern.
Ich persönlich kann diese Weisheit auch in Marshall Rosenbergs Devise “Empathy before education” wiederfinden (“Erst Empathie, dann Belehrung”). Der Geist muss erst beruhigt werden, bevor “weiterarbeiten” kann.

Wer Englisch versteht und gerne mehr über Martins’ Forschungsergebnisse lesen möchte, kann dies u.a. hier tun: http://nonsymbolic.org/PNSE-Summary-2013.pdf

Sehr interessant zum Thema ist dieser Vortrag von Martins auf einer Konferenz in China.

Was meinst du zu dem allen?

Ich würde mich freuen, in den Kommentaren davon zu lesen!

Liebe Grüsse,

Kendra

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